9. Sept. '20

Muss denn alles agil sein?

komplexe Straßenkreuzung

Einleitung

Vor einigen Jahren hätte man mit dem Satz „Wir arbeiten jetzt agil“ noch Überraschung ausgelöst. Inzwischen trifft man oft mit dem Satz „wir machen das jetzt klassisch“(gemeint ist die Wasserfall-Methode) auf Verwunderung. Kaum jemand traut sich noch in großer Runde zu verkünden, dass man in diesem Projekt auf Wasserfall setzt. Warum ist das so? Um das zu erklären möchte ich in diesem Artikel über zwei Dinge reden:

  1. Warum ist zunehmende Komplexität unser aktuelles Problem
  2. Warum funktionieren unsere (alten) Methoden oft nicht gut in aktuellen Projekten

Punkt 1: unser aktuelles Problem ist Komplexität.

Wenn man sich die Entwicklung in unserer Welt in den letzten 500 Jahren anschaut, so ist unumstritten, dass die Geschwindigkeit und die Komplexität unserer Umwelt zunimmt. Dafür gibt es aus meiner Sicht sehr gute aktuelle Beispiele:

Unternehmen müssen inzwischen global konkurrenzfähig sein. Vor 300 Jahren war es durchaus ausreichend im Umkreis von 20km das beste Produkt herzustellen um erfolgreich zu sein. Man hatte gar keinen einfachen Zugriff auf Produkte aus der ganzen Welt, da Transport, Kommunikation und Technologie dies noch nicht ermöglichten. Wer heute eine Suchmaschine betreiben möchte muss mit Weltkonzernen wie Google oder Microsoft konkurrieren – nicht gerade einfach.

Die letzte Wirtschaftskrise konnte nur entstehen, da die weltweite wirtschaftliche Vernetzung so weit vorangeschritten war, dass ein Dominoeffekt eintreten konnte. Gleichzeitig war die Vernetzung so komplex, dass wir bei allen Handlungen die dazu geführt haben, die Wirtschaftskrise nicht voraussagen konnten. Wir können zwar im Nachhinein die Abfolge der Ereignisse herleiten, konnten aber keine Voraussage zu der Wirkung aller unserer Handlungen treffen.

Auch die Natur bietet ungeahnte Komplexität. Wer kann schon sagen, was passiert, wenn eine bestimmte Spezies ausstirbt – die Wechselwirkungen im Ökosystem sind so vielseitig, das es nahezu unmöglich ist, alle Auswirkungen vorherzusagen.

Auch in der Politik finden sich solche Beispiele: Der Brexit ist ein gutes Beispiel für eine Veränderung an komplexen Beziehungen verschiedenster Länder – und selbst Jahre nach der Initiierung (Das Brexit Referendum war vor zwei Jahren!) tun wir uns noch immer schwer damit, die tatsächlichen Ausmaße dieser Entscheidung zu begreifen und zu bewerten.

All diese Beispiele haben eines gemeinsam – im Kern des Problems steht die Komplexität. Die heutige Komplexität macht es uns oft schwer die richtigen Entscheidungen zu treffen. Doch warum eigentlich?

Das Cynefin Framework:

Das Cynefin Framework stammt von David Snowden (Nicht zu verwechseln mit Edward Snowden, dem Whistleblower) – Es ist ein Modell zur Kategorisierung von Situationen, welches die Auswahl der richtigen Vorgehensweise unterstützen soll.

Das Cynefin Framework kategorisiert Situationen und Probleme in vier Kategorien:

Cynefin Framework

Wikipedia fasst die Bereiche gut zusammen:

Zuerst muss man das aktuelle Vorhaben richtig einordnen. Ein paar einfache Beispiele zu den Kategorien:

Einfach (simple)

Einkaufen ist eine einfache Aufgabe. Ich möchte bestimmte Waren einkaufen. Dazu muss ich bestimmte Aktionen verfolgen. (Zum Supermarkt fahren, Waren auswählen, bezahlen, zurück fahren.) Die Abläufe sind klar und wir haben den Vorgang oft genug wiederholt, um Best Practices anwenden zu können. Eine Best Practice ist beispielsweise ein Einkaufszettel, damit wir nichts vergessen)

Kompliziert (complicated):

Ein Hausbau ist kompliziert. Es gibt eine Vielzahl von Anforderungen und Abhängigkeiten und es fällt uns schwer, alles auf einmal zu überblicken. Dennoch ist die Ursache und Wirkung in diesem Netzwerk sehr klar. (z.B: Wenn die Elektrik nicht bis zum Datum X verlegt ist, kann der Verputzer nicht weiterarbeiten und der Einzugstermin verzögert sich.) Hier bietet sich ein Wasserfall-Vorgehen an. So können die komplizierten Abhängigkeiten abgebildet und übersichtlich gemacht werden. Das Vorgehen lautet hier: Sense - Analyze - Respond

Komplex (complex)

Beispiele für komplexe Probleme und Umgebungen haben wir bereits am Anfang erwähnt – z.B. die Weltwirtschaft oder unser Ökosystem. Hier ist das Ursache-Wirkung Prinzip nicht oder nur teilweise vorhersehbar. Viele unserer großen IT Projekte sind komplex. Wir haben beispielweise noch nie ein vergleichbares Projekt umgesetzt, oder die Abhängigkeiten zu anderen IT-Systemen und Personen sind so komplex, dass wir nicht in einer Planungsphase alle Abhängigkeiten abbilden können. Hier schlägt das Cynefin Framework den Ansatz Probe - Sense – Respond vor. Dieses Vorgehen ist inhärent in agilen Methoden wie Scrum. Es wird in einem fest definierten Zeitfenster (Sprint) etwas entwickelt und danach evaluiert, welche Erkenntnisse man gewonnen hat und ob der initiale Plan gegebenenfalls angepasst werden muss. (Sense & Respond)

Chaotisch (chaotic)

Dieser Zustand tritt in Projekten zwar gefühlt häufig auf, faktisch handelt es sich aber selten um einen solchen Zustand. Sollte dieser Zustand tatsächlich eintreten, so ist schnelles Handeln gefragt um die Situation zu stabilisieren (Act – Sense – Respond)

Punkt 2: Warum unsere aktuellen Methoden (oft) nicht gut in Projekten funktionieren

Wie eingangs erwähnt möchte ich in diesem Artikel nicht beschreiben, dass das Wasserfallmodell schlecht ist, sondern vielmehr erklären, wo das Wasserfallmodell Sinn ergibt und unter welchen Bedingungen z.B. agile Methoden vorzuziehen sind.

Damit zurück zu unserer initialen Frage: Warum funktionieren unsere aktuellen Methoden in Projekten oft nicht? Die Antwort ist einfach – wir wenden oft das falsche Modell auf unser Problem an.

Ist ein Problem komplex, so ist eine scheinbar genaue Beschreibung mittels eines Wasserfallmodelles nicht zielführend. Es ist sogar schädlich, da es eine vollständige Vorhersagbarkeit der Lösung suggeriert, obwohl dies nicht möglich ist. Dies äußert sich in endlosen Anpassungen und Change Requests sowie in den blank liegenden Nerven aller Beteiligten. Hier helfen agile Methoden mit dieser Komplexität umzugehen.

Aber auch andersherum ist es nicht sinnvoll einen Hausbau agil anzugehen. Da die Abhängigkeiten größtenteils bekannt sind und das Vorhaben nicht grundsätzlich neu, wird das Wasserfall-Modell wahrscheinlich das bessere Projektergebnis liefern.

Fazit:

Die Menschen haben stets Methoden gefunden mit Ihren Problemen umzugehen. Als Probleme kompliziert wurden haben wir unter anderem Wasserfallmodelle erfunden und in den letzten 50 Jahren eingeführt. Inzwischen werden immer mehr Probleme jedoch komplex, sodass wir neue Modelle suchen müssen um damit umzugehen. Agile Methoden können hier die Antwort sein. Wichtig ist, bewusst zu einer korrekten Einschätzung des Problems zu gelangen.

Weiterführende Links: